Montag, 8. August 2016

Filzstifte

Da saßen wir in unseren Kinderzimmern und malten uns unsere Träume aus, nicht mit Buntstift, sondern so unwiderruflich mit Filzstift, in bunt und so schön fröhlich. Wenn ich einmal groß bin, dann werde ich Prinzessin, Zauberer oder Schokoladenverkoster. Ganz unbeschwert und ohne wenn und aber wurde formuliert, was uns glücklich macht, was wir träumen.

 


Und dann sind wir groß und pulsieren im Takt des Stroms, begleitet von Hintergrundmusik a´ la „work work work“. An den Kindheitsformulierungen wurde mittlerweile ´etwas´ gefeilt, denn sind wir mal ehrlich: nicht jeder kann den ganzen verdammten Tag Schokolade essen ohne sie irgendwann über zu haben, hat den perfekten Handgruß drauf, ohne eine Sehnenscheidenentzündung davon zu tragen oder ist dazu geboren, andere in waghalsigen Kunststücken zu zerstückeln, oder zumindest so zu tun. Also ergreifen wir dann doch eher einer der ´gesellschaftsfähigen´ Berufe wie Arzt, Bänker oder, oder, oder. Bei der Berufswahl spielt mittlerweile nicht mehr zwingend das tägliche Glück eine Rolle, sondern das „Was kann ich damit erreichen?“ und später dann sicher „Kann ich davon leben?“. Und so gehen wir unseren Weg, in einem Beruf, der uns im besten Fall im Großen und Ganzen zufriedenstellt und das einbringt, das wir zum (Über)Leben glauben zu benötigen.

Und auf dem so schönen bunten Bild aus dem Kinderzimmer finden sich noch ganz andere Träume: Mama, Papa, Kind(er). Allesamt mit sechs Fingern an jeder Hand, Nikolaus-Schuhen an und fragwürdigen Frisuren. Daneben ein Haus mit riesiger Tür und bestenfalls zwei Fenstern, ein Baum, eine Blume, alles was auf der kräftig grünen Wiese irgendwie Platz findet und der See im Hintergrund. Wenn ich einmal groß bin, dann werde ich verheiratet sein und mit meiner Familie in einem Haus am See wohnen. Umso älter wir werden, wird auch an dieser Kindheitsformulierung etwas gefeilt: Es werden Zeitpläne erarbeitet, genaue Vorstellungen vom Traumhaus mit hunderten bodentiefen Fenstern formuliert und der Traummann gebacken. Und dann sind wir irgendwie groß, vom Traummann ist weit und breit keine Spur und eigentlich passt die Geschichte mit dem Hausbau auch gerade nicht so in den Zeit- und schon gar nicht in den Finanzierungsplan.

Immer weiter an den Kindheitsformulierungen feilend rauschen die Jahre nur so an einem vorbei. Bei einem Blick auf das Papier, stellen wir fest, dass das schöne bunte Bild aus der Kindheit allmählich anfängt zu verblassen, der See im Hintergrund bereits verschwunden ist und die paar Wölkchen am ursprünglich sonnengelben Himmel mittlerweile den Staub der Jahre anzunehmen scheinen. Da braut sich etwas zusammen. Unzufriedenheit. Und da das Gefühl von Unzufriedenheit unerträglich ist, schieben wir es bei Seite, dass uns schmerzlich erinnernde Bild fliegt unachtsam in eine Ecke... wird wellig und immer blasser.

In einem sehnsüchtigen Moment kramen wir das schöne bunte Bild unter dem Stapel von Plänen hervor und stellen entsetzt fest, dass kaum noch etwas von dem schönen bunten Bild übrig ist. In der Erinnerung daran, wird uns bewusst, dass es eigentlich auch irgendwie gar nicht (mehr) zu uns und unserem Erwachsenenleben passt. Da stehen wir nun, mit fünf Fingern an jeder Hand, ohne Haus am See oder Familie und ohne jeden Tag aus beruflichen Gründen Schokolade essen zu können. Und als ob das nicht schlimm genug ist, stehen wir da auch noch in grau. Schließlich sind wir jetzt groß und haben irgendwie nichts oder nur wenig von dem umgesetzt, was wir uns einst fröhlich bunt ausmalten. Wir stellen uns die Frage, wo unsere Träume und all die Farben nur geblieben sind und haben das Gefühl, mehr oder minder gescheitert zu sein.

Wenn ich einmal groß bin...
Die Körpergröße dürfte bei dieser Formulierung wohl kaum eine Rolle spielen. Geht es doch eher um das Verhältnis von Kindheit zum Erwachsensein. Und so bleibt, dass wir - egal in welchem Alter - doch irgendwo das Kind von jemanden sind (und immer bleiben werden). Was spricht also dagegen, dass Träume sich verändern - manche verblassen, manche immer bunter werden? Wir sind Erwachsen, ja und?! Wir haben vielleicht einfach nur verlernt, sorglos und ohne wenn und aber zu formulieren, was uns glücklich macht.

Holt die Filzstifte heraus, schnappt euch ein neues Blatt und fangt (wieder) an zu träumen.

 Malt euch eure Welt, wie sie euch in knallbunt gefällt. Dafür gibt es keine Altersgrenze und dafür ist es auch nie zu spät. Und wenn das schöne bunte Bild dann doch irgendwann nicht mehr passt, dann nehmt ein neues Blatt.

Donnerstag, 21. Januar 2016

Alle Jahre wieder ...


Vor (etwas mehr als) einigen Tagen war es wieder so weit: der Heilige Abend. Der Vorabend des Weihnachtsfestes. Das Fest der Liebe. Das Weihnachtsfest im Kreise der Familie gehört für so viele zu den schönsten Stunden des Jahres ... 




... und vor einigen Tagen hätte ich diesen Satz umgehend mit "für mich nicht" beendet, ohne genauer darüber nachgedacht zu haben. Versteht mich nicht falsch, ich mag meine Familie. Wirklich. Aber Weihnachten?! Dem ganzen - ich nenne es mal liebevoll - Spektakel, konnte ich noch nie wirklich etwas abgewinnen. Und das war schon immer so... meine ich.

Es beginnt bereits im November: 
Kaum sind die letzten Reste sich übergebender, grimassenschneidender Kürbisköpfe in der Tonne gelandet und Hexen, Monster und sonstige kleine ekelerregende Haustiere wie Fledermäuse und Spinnen in Kisten im Keller verstaut, geht das Spektakel los.

Die Tage werden kürzer und kälter, die Beleuchtung der Geschäfte heller und bunter,  das Sortiment immer ungesünder und die Einkaufspassagen nach und nach immer voller und scheinbar immer enger. Man könnte es "alle rücken etwas zusammen" nennen, sofern man etwas positives an den allmählich überfüllten Kaufhäusern finden möchte - es ist ja das Fest der Liebe. Muss man aber nicht. Alle sind bereits auf der Jagd nach dem Besten für die/den Liebste/n. Und es ist November ... NOVEMBER!

Die Lage spitzt sich zu, sobald der Rahmen der Einkaufspassagen gesprengt zu sein scheint: Das Ganze wird nun auch außerhalb der Geschäfte und Passagen zelebriert. Buden soweit das Auge reicht. Es ist kein Schritt mehr möglich, ohne den Geruch von Bratwurst, Glühwein und Süßkram in sämtlichen Variationen in der Nase zu haben... oder ohne angerempelt zu werden. Eine nur_mal_eben_schnell Besorgung wird zum gefühlten Tagesausflug mit Aggressionspotential. 

Um so näher dann der 24. rückt, um so hektischer wird das Ganze... und das nicht nur in der Außenwelt. Die Frage nach dem "Wo feiern" steht im Raum. Da sind die Eltern, die ihr Kind am Heiligen Abend natürlich gerne bei sich haben wollen. Da sind vielleicht sogar zwei getrennt lebende Elternteile, die alleine diese Entscheidung erschweren. Dann gibt es da vielleicht noch die Schwiegereltern, die natürlich auch nicht immer die zweite Geige spielen wollen. Und mal rein in der Theorie: sind diese auch getrennt lebend, dann wird es schon kompliziert. Und mal weiter rein theoretisch: Du hast ein Kind mit deinem Expartner und bist neu liiert, wen gilt es da abzuklappern? Richtig: Den Expartner; zwei Mal Großeltern - ggf. getrennt lebend, macht also vier Mal Großeltern; die Schwiegereltern und die Großeltern der neuen Liebe, Geschwister, Tanten und Onkels sowie Freunde ....herzlichen Glückwunsch ... die Liste der zu Besuchenden wird endlos lang. Unlösbar.

Wenn auf die Frage nach dem "Wo feiern" irgendwie eine Antwort gefunden wurde, der nächste Schreck: WAS soll ich in diesem Jahr schenken... 

Gehen wir die Liste doch einmal durch: 
Großeltern. Was in aller Welt schenkt man Menschen, die eigentlich alles haben?! Immer die gleiche Flasche Doppelherz oder das überdimensional große Marzipanbrot...? Und mal ganz ehrlich: jedes Jahr ein neues hübsches Foto von sich selbst macht aus der Wohnung der Großeltern irgendwann eine Ausstellung über das eigene Leben... Will man das? 
Dann sind da die (Schwieger-) Eltern. Mutti wünscht sich vielleicht etwas zum Entspannen. Badesalz tut es vielleicht in einem Jahr und dann? Dem Vater ein nette Flasche irgendwas geschenkt. Und im nächsten Jahr wieder? Was für eine Überraschung... 
Dann kommen die Geschwister. Die Geschwister, die mittlerweile in anderen Städten wohnen, ihr eigenes Leben führen. Von deren Leben man im Grunde genommen nur noch die Umrisse kennt. Was die da wirklich treiben...keine Ahnung. Also kommt auch da das Verallgemeinern in Frage: Das Foto von diesem Jahr, eine nette Flasche irgendwas oder doch das Lieblingsparfüm von vor drei Jahren...aber ist es das auch noch?
Am einfachsten sind da noch die Kinder zu beschenken...tippt es gerade aus meinen Fingern. Und wenn man mal genau darüber nachdenkt, ist das auch eine Wissenschaft für sich. Klamotten - nein. Davon hat so ein Zwerg eher nichts. Also was zum Spielen. Ok, was ist denn gerade angesagt? Vor einem halben Jahr waren es noch irgendwelche süßen Pferdchen, heute soll es denn doch eher die Puppe sein?! Und ist das denn so erwählte Spielzeug auch förderlich? Wir wollen ja nicht, dass das Kind nicht gefördert wird. 
Geschenke finden: Eine Wissenschaft für sich!

So, und irgendwie lösen wir jedes Jahr auf´s Neue diese unlösbaren Probleme: Entscheiden uns für einen Ort zum feiern, haben Terminpläne auf die Sekunde genau ausgearbeitet um keinen anderen zu kurz kommen zu lassen, haben irgendwelche (unsinnigen) Geschenke in letzter Minute ergattert und stürzen uns voller "es ist Weihnachten, lächeln" Mentalität in den 24. Dezember hinein. 

Und ganz ehrlich: NEIN, für mich ist Weihnachten bis dahin alles andere als die Schönste Zeit des Jahres. 

Und dann kommt der 24. Dezember. 

Man sitzt mit seinen Liebsten beisamen. Alle reden chaotisch durcheinander, die Oma beschwert sich über die Lautstärke, Opa erzählt schon wieder die Standard-Arbeitsgeschichten, worüber die Oma sichtlich verärgert ist, die Kleinsten wollen einfach nur von jedem Aufmerksamkeit und das sofort, sonst gibt es Gebrüll, aus der Nachfrage, ob vom anderen Ende des Tisches ein Windbeutel gereicht werden kann, entsteht eine neue olympische Disziplin im Windbeutelweitwurf... die angesichts des Windbeutels IM Weihnachtsbaum dringend noch weiter trainiert werden sollte... und eigentlich würde man selbst am liebsten einfach kurz mal schreien... 

Mit einem Lebkuchen in der Hand in die hinterste Ecke der Couch zurückgezogen, beobachte ich dieses Spektakel und stelle fest: Doch, es ist die schönste Zeit im Jahr - genau in diesem Moment. GENAU dieses chaotische Spektakel ist das, was alles so wunderbar macht. 

Wir alle haben dieses eine Bilderbuch, das Bilderbuch, dass sich von Kindheit an mit Bildern von Träumen füllt... und so sieht Weihnachten in meinem Bilderbuch aus: Ein riesiger Esstisch mit meiner ganzen Familie und all meinen lieben Freunden. Ja, dass will ich und das finde ich schön. Chaotisch schön. Lebendig. Und irgendwann in meinem Leben werde ich diesen riesigen Esstisch besitzen!

Also komme ich zu dem Schluss: Ich mag Weihnachten irgendwie doch... und wenn wir mal ganz ehrlich sind, auch auf das Theater drum herum wollen wir doch eigentlich gar nicht verzichten.